Freitag, 18. Mai 2007

Alfred Brehm: Hausmaus

Hausmaus

Die Hausmaus (Mus musculus) soll schon seit den ältesten Zeiten der treueste Genosse des Menschen gewesen sein. Bereits Aristoteles und Plinius thun ihrer Erwähnung, Albertus Magnus kennt sie genau. Gegenwärtig ist sie über die ganze Erde verbreitet. Sie wanderte mit dem Menschen und folgte ihm bis in den höchsten Norden und bis in die höchstgelegenen Alphütten. Ihre Aufenthaltsorte sind alle Theile der menschlichen Wohnungen. Auf dem Lande haust sie zeitweilig auch im Freien, d. h. im Garten oder in den nächsten Feldern und Wäldchen, in der Stadt beschränkt sie sich auf das Wohnhaus und seine Nebengebäude. Hier bietet ihr jede Ritze, jede Höhle, mit einem Worte jeder Winkel, wo sie sich verstecken kann, genügendes Obdach, und von hier aus unternimmt sie ihre Streifzüge.

Mit größter Schnelligkeit rennt sie auf dem Boden dahin, klettert vortrefflich, springt ziemlich weit und hüpft oft längere Zeit nacheinander in kurzen Sätzen fort. An zahmen kann man beobachten, wie geschickt sie alle Bewegungen unternimmt. Schon wenn sie ruhig sitzt, macht sie einen ganz hübschen Eindruck; erhebt sie sich aber, nach Nagerart auf das Hintertheil sich stützend, und putzt und wäscht sie sich, dann ist sie geradezu ein bezauberndes Thierchen. Sie kann sich auf den Hinterbeinen aufrichten, wie ein Mensch, und sogar einige Schritte gehen. Dabei stützt sie sich nur dann und wann ein klein wenig mit dem Schwanze.

Man kann sich schwerlich ein naschhafteres Geschöpf denken als eine Hausmaus, welche über eine gut gespickte Speisekammer verfügen kann. Sie sucht sich sicher immer die besten Bissen aus und beweist dadurch auf das schlagendste, daß der Sinn des Geschmackes bei ihr vortrefflich entwickelt ist. Süßigkeiten aller Art, Milch, Fleischspeisen, Käse, Fette, Früchte und Körner werden von ihr unbedingt bevorzugt, und wo sie die Wahl hat, kürt sie sich unter dem Guten immer das Beste. Wo sie etwas Genießbares wittert, weiß sie sich einen Zugang zu verschaffen, und es kommt ihr eben nicht darauf an, eine oder mehrere Nächte angestrengt zu arbeiten und selbst feste, starke Thüren zu durchnagen. Findet sie viele Nahrung, welche ihr besonders mundet, so trägt sie sich auch noch einen Vorrath davon in ihre Schlupfwinkel und sammmelt mit der Hast eines Geizigen an der Vermehrung ihrer Schätze.

Den Schaden, welchen die Hausmaus durch Wegfressen verschiedener Speisevorräthe anrichtet, ist im ganzen gering; ihre hauptsächliche Schädlichkeit beruht in dem abscheulichen Zernagen werthvoller Gegenstände. In Bücher- und Naturaliensammlungen hausen die Mäuse auf die verderblichste Weise und können, wenn ihrer Zerstörungslust nicht mit allen Kräften Einhalt gethan wird, unschätzbaren Schaden anrichten.

Die Hausmaus vermehrt sich außerordentlich stark. Sie wirft 22 bis 24 Tage nach der Paarung vier bis sechs, nicht selten aber auch acht Junge und in Jahresfrist sicherlich fünf bis sechsmal, so daß die unmittelbare Nachkommenschaft eines Jahres mindestens dreißig Köpfe beträgt. Eine weiße Maus, welche Struve in der Gefangenschaft hielt, warf am 17. Mai sechs, den 6. Juni sechs, den 3. Juli acht Junge. Die Mutter schlägt ihr Wochenbett in jedem Winkel auf, welcher ihr eine weiche Unterlage bietet und einigermaßen Sicherheit gewährt. Nicht selten findet man das Nest in ausgehöhltem Brode, in Kohlrüben, Taschen, Todtenköpfen, ja selbst in Mausefallen. Gewöhnlich ist es aus Stroh, Heu, Papier, Federn und anderen weichen Stoffen sorgfältig zusammengeschleppt.