Freitag, 9. Februar 2007

Es war nicht die Spur von Noahs Raben - Fossilien wurden früher oft fehlgedeutet

Leseprobe aus dem Taschenbuch "Monstern auf der Spur" (Wie die Sagen über Drachen, Riesen und Einhörner entstanden) des Wissenschaftsautors Ernst Probst:



Die Geschichte der Paläontologie, der Lehre vom Leben in der Urzeit, ist voller skurriler Irrtümer. Lange wollte niemand glauben, dass die Reste von prähistorischen Pflanzen und Tieren viele Millionen Jahre alt sind. Es vergingen etliche Jahrhunderte, bevor allerlei merkwürdige Erklärungen über die Entstehung von Fossilien als Unsinn erkannt wurden.

Eine der frühesten Fehldeutungen von Fossilien unterlief dem griechischen Philosophen Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. Er verkannte solche Urzeitfunde als „Figurensteine“, die durch schöpferische Kräfte im „Urschlamm“ entstanden seien.

Anhänger der Sintfluttheorie dagegen betrachteten im 17. Jahrhundert die Versteinerungen als bei dieser biblischen Naturkatastrophe ertrunkene Lebewesen. Der Forscher E. Bertram wiederum meinte 1766, Gott habe die Fossilien in den Boden gelegt – womöglich, um diejenigen zu prüfen, die an der göttlichen Schöpfung zweifelten. Und der Breslauer Mineraloge Karl Georg von Raumer (1783–1865) war 1819 felsenfest davon überzeugt, dass Fossilien verunglückte Probeschöpfungen der Natur seien.

Alle diese frühen Forscher irrten. Aber das war kein Wunder, wenn man den kulturhistorischen Hintergrund ihrer Zeit betrachtet. Noch anno 1650 war man sich allgemein einig, dass die Erde wenig mehr als 5500 Jahre alt sei. Der irische Erzbischof James Ussher (1581–1656) zum Beispiel hatte damals errechnet, die Schöpfung habe am 23. Oktober des Jahres 4004 vor Christi Geburt exakt um 9 Uhr begonnen.

Niemand zu Usshers Lebzeiten ahnte, dass die Reste von Pflanzen und Tieren in den Solnhofener Platten aus Bayern, die 1616 erstmals von dem Nürnberger Apotheker Basilius Besler (1561–1628) abgebildet wurden, etwa 150 Millionen Jahre alt sind. Die prächtigen Dendriten auf dem Solnhofener Kalkgestein wurden im 17. Jahrhundert als Moos gedeutet. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um verästelte Kristallbildungen auf Schichtfugen und Kluftflächen, die aus eisen- und manganhaltigen Lösungen entstanden. Ihre Form ähnelte tatsächlich Moos, Sträuchern oder Bäumen. Außerdem beschrieb Besler eine „Spinne“, die hundert Jahre später als ein Meerestier entlarvt wurde, das mit Seesternen und -igeln verwandt ist.

Völlig falsch beurteilt wurden auch Urweltfunde aus dem Rhein. Ein Wormser Bürger etwa meinte 1689: „Es ist unleugbar, dass große und mehr als 20 oder 30 Schuh lang gewesene Riesen und Drachen an dieser Rheingegend sich nicht selten aufgehalten haben, indem ein dergleichen Riesenbein anno 1635 im Rhein gefunden, ich selbstens zu Wormbs gehabt, nach welches abgeteilter Proportion der Mensch mehr als 30 Schuh lang müsste gewesen sein.“ Ein Schuh oder ein Fuß galt damals als Längenmaß von etwa 30 Zentimeter. Demnach wäre der Wormser Riese etwa neun Meter groß gewesen. Heute weiß man, dass es sich vermutlich um einen Mammutknochen handelte.

Mancher stolze Entdecker von Fossilien (der Begriff stammt aus dem Lateinischen: fossilis = ausgegraben) erntete einst statt Anerkennung nur Hohn und Spott, wie beispielsweise der Londoner Apotheker Conyers, der 1715 nahe der britischen Hauptstadt im Kies eines längst ausgetrockneten Flusses einige Elefantenknochen und dicht daneben einen roh behauenen spitzen Stein fand. So etwas passte nicht in das damalige Weltbild. Deshalb wurde in den Kneipen viel über diesen Fall gewitzelt. Unter anderem wurde gemutmaßt, es handle sich um einen ausgerissenen Zirkuselefanten, der jämmerlich umgekommen sei, weil ihm die britische Kost nicht bekam. Der Apotheker glaubte schließlich einem Freund, der die Elefantenknochen in die Zeit des römischen Kaisers Claudius (10 v. Chr.–54 n. Chr.) datierte, der Elefanten über den Kanal gebracht habe, um die Briten zu unterwerfen. Daraufhin wurden die Knochen und der Stein in ein Raritätenkabinett gebracht und als „Funde aus der Römerzeit“ bezeichnet.

Auch die Bedeutung der ersten dokumentarisch belegten Entdeckung von Dinosaurierspuren in Nordamerika wurde zunächst nicht erkannt. Als dem zwölfjährigen Farmersohn Pliny Moody im Herbst 1802 dieser Fund glückte, war der Begriff Dinosaurier noch gar nicht bekannt, er wurde erst 1841 von dem Londoner Paläontologen Richard Owen (1804–1892) vorgeschlagen.

Pliny Moody hatte beim Pflügen eines Feldes unweit von South Hadley im US-Bundesstaat Massachusetts einen umgestoßenen Felsbrocken erblickt, auf dem der Abdruck von drei riesigen Zehen zu erkennen war. Er ähnelte Spuren von Vögeln, die über Schlamm oder Sand gelaufen waren. Die Menschen von South Hadley redeten viel über diesen sonderbaren Fund, bis einer von ihnen auf die Idee kam, es könne sich um Fußspuren jenes Raben handeln, den Noah nach der Sintflut ausgeschickt hatte, um trockenes Land zu suchen.

Weit von der Wahrheit entfernt war auch der englische Antiquar Edward Lluyd, der 1889 den ersten Fund eines Fischsauriers als „Lithophylacii Britannici ichnographia“ bezeichnete. Lluyd hielt den Fischsaurier, der vom Aussehen her heutigen Delphinen ähnelte, für einen Fisch besonderer Art. Er meinte, wenn das Meerwasser verdunstet, dann gerieten auch Fischeier in die Wolken und würden später mit dem Regen auf das Festland fallen. In den trockenen Erdschichten, so erklärte er, würden sich aus ihnen keine normalen Fische entwickeln, sondern solche aus Stein. Alle Fossilien wären nach dieser Deutung keine Lebewesen aus Fleisch und Blut, sondern seltene Naturspiele, zusammengebacken aus Rogen, Samenluft und von Meeresdünsten imprägniertem Gestein.

Über diese Theorie lächelte einige Jahrzehnte später ein anderer Entdecker eines Fischsauriers, nämlich der Zürcher Stadtarzt und Chorherr Johann Jakob Scheuchzer (1672­–1733) – doch heute schmunzelt man auch über ihn. Scheuchzer erklärte nämlich allen Ernstes, mehrere unter dem Galgenberg der fränkischen Stadt Altdorf geborgene Wirbel gehörten zum Beingerüst eines verruchten Menschenkindes aus der Sintflut, um dessen Sünde willen das Unglück über die Welt hereingebrochen sei. Ähnlich äußerte er sich 1726 über fossile Reste eines Riesensalamanders aus den tertiären Süßwasserablagerungen von Öhningen am Bodensee.

Um 1712 wies der Altdorfer Arzt und Mineraloge Johann Jacob Baier (1677–1735), der die Gesteinsbildungen und Fossilien der Jurazeit in Ober- und Mittelfranken untersuchte, zu Scheuchzers großem Ärger nach, dass solche gehöhlten Wirbelpaare nie und nimmer den Körper eines Menschen getragen haben konnten. Baier bestimmte die Ichthyosaurierkochen als Fischwirbel.

Allmählich zogen immer mehr Paläontologen die richtigen Schlüsse über die Fossilien. Sie verglichen die Knochen mit heute lebenden Tieren und kamen vielfach zu immer noch gültigen Erkenntnissen. Schließlich bot die Evolutionstheorie von Charles Darwin (1809–1882) gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts den theoretischen Hintergrund für die korrekte Interpretation der Fossilienfunde. Vor Irrtümern sind die Paläontologen freilich auch heute noch nicht völlig gefeit.

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