Freitag, 9. Februar 2007

Als an Rhein und Main noch Riesenlöwen jagten



Vor mehr als 500.000 Jahren lebten in Deutschland etliche Großkatzen

Wiesbaden (tier-welt) - Nicht der schwarze Mann in Afrika jagte einst die größten Löwen aller Zeiten, sondern sein roter Bruder in Nordamerika. Dort, wo heute Los Angeles liegt, lebten vor etwa 10.000 Jahren, als das Eiszeitalter zu Ende ging, noch Löwen, die größer als alle bisher bekannten Artgenossen waren. Aber auch auf heute deutschem Boden machten stattliche Großkatzen ihre Beutezüge.

Bereits seit dem 19. Jahrhundert ist man in den kalifornischen Asphaltsümpfen bei Los Angeles immer wieder auf Überreste von Löwen gestoßen, und bis heute hat man Hunderte ihrer Skelette bergen können. Dass es sich dabei um Löwen handelte, war allerdings die erste und die richtige, doch nicht die letzte Vermutung. Denn 1941 beschrieb der amerikanische Paläontologe George Gaylord Simpson ein derartiges Skelett als das eines Riesenjaguars und setzte damit einen Irrtum in die Welt, der erst 1971 korrigiert wurde, als der russische Forscher N. K. Wereschtschagin und der Mainzer Zoologe Helmut Hemmer unabhängig voneinander zu dem Schluß kamen, daß diese "nordamerikanische Pantherkatze" doch ein Löwe ist.

Ähnlich prächtige Großkatzen wie bei Los Angeles lebten vor mehr als 500.000 Jahren auch dort, wo heute Wiesbaden liegt. Dies zeigen fossile Skelettreste von Löwen der Unterart "Panthera leo fossilis", die 1906 erstmals von dem Mainzer Paläontologen Wilhelm von Reichenau beschrieben wurden. Derartige Löwenreste werden im Naturhistorischen Museum Mainz aufbewahrt. Sie stammen aus den so genannten Mosbacher Sanden. Dabei handelt es sich um Ablagerungen des Rheins, des Mains und von Taunusbächen, die von den Forschern nach dem kleineren, später in Wiesbaden eingemeindeten Ort Mosbach benannt worden sind.

Die "Wiesbadener Riesenlöwen" lebten in einer klimatisch milden Phase des Eiszeitalters, die nach einem englischen Fundort als Cromer-Warmzeit bezeichnet wird. Damals gab es bei Wiesbaden auch Säbelzahnkatzen ("Homotherium crenatidens"), Europäische Jaguare ("Panthera gombaszoegensis") und Geparden ("Acinonyx pardinensis"). An den Ufern des Neckars unweit von Mauer bei Heidelberg jagten zur gleichen Zeit auch Leoparden der Unterart "Panthera pardus sickenbergi". Letztere wurden 1969 nach einem Fund bei Mauer durch Helmut Hemmer und die damals in Mainz tätige Paläontologin Gerda Schütt publiziert; im Namen dieser Raubkatze wird an den Hannoveraner Geologen Otto Sickenberg erinnert.

Die kalifornischen Riesenlöwen aus der Zeit vor 10000 Jahren werden als Amerikanische Höhlenlöwen bezeichnet und der Unterart "Panthera leo atrox" zugerechnet. Die Benennung dieser Unterart geht auf den amerikanischen Forscher Joseph Leidy zurück, der schon 1854 derartige Skelettreste untersucht hatte. "Panthera leo atrox" hatte eine Körperlänge von 2,40 Meter, zu der noch ein mindestens 1,20 Meter langer Schwanz hinzugerechnet werden muß. Ein Vergleich mit Löwen, die vom Jahre 1700 bis heute erlegt wurden, zeigt auf, dass diese allenfalls eine Gesamtlänge von 3,25 Meter (Kapland) oder 3,33 Meter (Ostafrika) hatten, doch waren das Rekord- und keine Durchschnittsgrößen. Gegenüber "normalen" Löwen hatten die kalifornischen Großkatzen also einen um einen halben Meter längeren Körper, der dem des sibirischen Tigers - der größten Katze, die gegenwärtig auf der Erde existiert - entspricht.

Daß die riesigen Raubtiere in Kalifornien zu Zeiten lebten, in denen die Indianer bereits von Nordamerika Besitz ergriffen hatten, bewies der Fund einer Säbelzahnkatze, in deren Knochen eine Pfeilspitze steckte. Und eben jene Säbelzahnkatze war aus einem Asphaltloch geborgen worden, in dem auch Löwenteile lagen.

Der Löwe ist einst nach Südkalifornien eingewandert. Seine Urheimat liegt nach heutigem Wissen in Afrika. Dort sind die "ältesten" Löwen in den berühmten Fossilfundstellen um den Rudolfsee ausgegraben worden, wo einst auch der Australopithecus-Vormensch lebte. Diese Löwenfunde auf dem Schwarzen Erdteil sind etwa zwei Millionen Jahre alt. In Europa tauchte der Löwe vor etwa 700000 Jahren auf. Außerdem machten sich die Löwen nach Asien und Sibirien auf und verbreiteten sich von dort aus über die ganze Welt. Sie gelangten bis nach Ceylon und Indien, und vor etwa 250000 Jahren, als eine Vereisungsphase den Meeresspiegel absinken ließ, über die "Beringbrücke", die heute von der Beringsee bedeckt wird, auch nach Nordamerika.

Dort verbreiteten sie sich rasch über den gesamten Halbkontinent und erreichten zudem das nördliche Südamerika. Fast gleichzeitig wie ihre Artgenossen in Europa sind sie dann dort vor etwa 10000 Jahren zum Ende des Eiszeitalters ausgestorben. Die letzten eiszeitlichen Großkatzen heißen Höhlenlöwen ("Panthera leo spelaea"), weil ihre Reste häufig in Höhlen zum Vorschein kamen. Sie waren jedoch keine ausschließlichen Höhlenbewohner. Die Bezeichnung "Panthera leo spelaea" geht auf den Bonner Arzt Georg August Goldfuß zurück, der 1810 einen Schädelfund aus einer Höhle in Oberfranken beschrieb.

Das Verschwinden der Löwen in Amerika, Europa und Asien wurde nach Ansicht von Helmut Hemmer vermutlich dadurch ausgelöst, daß die Beutetiere ausstarben. Zum Ende des Eiszeitalters wuchsen nämlich da, wo vorher Graslandschaft gewesen war, wieder die Wälder. Das Aussterben der an Futternot leidenden Huftiere könnte den großen Raubtieren ebenfalls die Nahrungsbasis entzogen haben.

In Europa sind die letzten Löwen übrigens von den Alten Griechen gesichtet worden, der Schriftsteller Herodot berichtet noch über sie. Doch dann hat man diese Großkatzen heftig bejagt, bis sie schließlich ausgerottet waren. Denn der Löwe war für den Menschen von der Zeit an zum erklärten Feind geworden, als der begann, sich Haustiere zu halten. Deshalb ist diese Großkatze auch im Vorderen Orient, in dem sich die Bauernkulturen am frühesten entwickelten, am raschesten verschwunden.

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Ernst Probst ist Autor der Bücher "Deutschland in der Urzeit", "Deutschland in der Steinzeit" und "Deutschland in der Bronzezeit" sowie der Taschenbücher "Rekorde der Urzeit", "Monstern auf der Spur" und "Nessie"

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